Die einen nennen es „Opferschutz“, wir nennen es Straflust.
Ein Gastbeitrag der Beratungsstelle Phoenix e.V., Hannover. Ursprünglich am 18. Julie 2024 als Instagram-Post veröffentlicht.
Der kriminologische Begriff Punitivität oder „Straflust“ steht für die Bereitschaft und den Wunsch, Normabweichungen hart zu sanktionieren. Punitivität bildet einen Gegensatz zu bessernden, resozialisierenden oder versöhnenden Reaktionen auf Kriminalität. Bei der Lust am Strafen stehen vor allem persönliche Vergeltungsgedanken und moralische Überzeugungen im Vordergrund.

Die Medien spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie die Öffentlichkeit Kriminalität wahrnimmt und bewertet. Je häufiger ein Thema in den Medien präsent ist, desto eher neigt die Gesellschaft dazu, härtere Strafen zu unterstützen. In den letzten Jahren haben Medienberichte über Sexarbeit ein beängstigendes Bild gezeichnet, das oft auf Ausbeutung und Gewalt beschränkt war. Die wiederholte Skandalisierung von Sexarbeit verstärkt die gesellschaftliche Wahrnehmung, dass es sich hierbei um ein gefährliches Problem handeln würde – dies zeigte zuletzt die moralische Panik rund um die Fußball-EM. Je dramatischer die Berichte sind, desto mehr wächst in der Bevölkerung der Wunsch nach härteren Strafen und repressiven Gesetzen, wie etwa dem sogenannten „Nordischen Modell“.
Das „Nordische Modell“ stellt den Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafe, womit jegliche Form von Sexarbeit unterbunden werden soll. Das „Nordische Modell“ verlangt eine Einteilung in zwei Lager: Der schuldige Täter und das hilflose Opfer. Die Freier, die bestraft gehören und die Sexarbeiterinnen, die gerettet werden müssen – ob sie wollen oder nicht. Die Forderung von Strafen ist gleichzeitig die Individualisierung gesellschaftlicher Herausforderungen. Der Jurist Volkmar Schöneburg schreibt in diesem Zusammenhang: „Der Ausblendungsmechanismus des Strafrechts besitzt für die Politik einen hohen Gebrauchswert. Indem soziale Problemlagen auf individuelle Normabweichungen reduziert werden, erspart sie sich strukturpolitische Interventionen. Es werden im Strafrecht Lösungen für Probleme angeboten, deren originäre Zuständigkeiten bei ganz anderen politischen Ressorts angesiedelt sind.“
Es ist immer wieder wichtig zu betonen, dass Befürworter*innen des „Nordischen Modells“ die Möglichkeit hätten, für sozialpolitische Maßnahmen statt für repressive Gesetze zu kämpfen. Sie könnten sich für bezahlbaren Wohnraum, legale Arbeitsmigration, Entstigmatisierung oder Arbeitsrechte einsetzen. Dennoch beharren sie auf den strafenden Staat als Erlöser für die unterdrückte Frau. Forderungen nach Gesetzen, die auf Bestrafung und Vergeltung abzielen, anstatt die Verbesserung der Lebensbedingungen von Sexarbeiter*innen anzustreben, lassen den Verdacht aufkommen, dass es tatsächlich gar nicht um die Menschen in der Sexarbeit geht. Handelt es sich etwa doch um einen symbolischen Akt? Um ein moralisches Signal, das die gesellschaftliche Ablehnung von Sexarbeit manifestiert? Die Deutungshoheit über Gut und Böse? Das eigene Selbstbild der heldenhaften Retter*innen? Die Befriedigung der eigenen Straflust?
Sie sagen, es ginge um den „Schutz“ der Frauen, harte Strafen werden es richten. Wir sagen: fordert lieber ein gutes Leben für alle! Sexarbeiter*innen brauchen Rechte und keine Rettung!
„Aus Sicht der Prostitutionsgegner_innen entsteht die Nachfrage nach diesen Opfern einzig und allein aus dem unstillbaren sexuellen Begehren der Männer. (…) Die Frage, wen Männer wie ficken wollen, beschreibt dann ein deutlich handhabbareres und weniger unbequemes Problem. Im Unterschied zu Armut oder gesellschaftlicher Ungleichheit können Frauen, die sich gegen Prostitution und gegen die Rechte von Sexarbeiter_innen engagieren, bei der Frage des männlichen Begehrens auch problemlos behaupten, sie hätten mit diesem Problem nichts zu tun und profitieren auch nicht von ihm.“ (Gira Grant 2014)
Zum weiterlesen:
Cremer-Schäfer, Helga; Steinert, Heinz (2021): Straflust und Repression: zur Kritik der populistischen Kriminologie.
Schöneburg, Volkmar 2018: Der strafende Staat. Plädoyer gegen den Populismus in der Kriminalpolitik und eine Instrumentalisierung des Strafrechts. Junge Welt, S. 12 https:// http://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/329191.der-strafende-staat.html
Gira Grant, Melissa (2014): Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit. Hamburg: Nautilus Verlag.
„Prostitution und Straflust“ Jennifer Stange über: Philipp Thiée (Hrsg.): Menschen Handel – Wie der Sex-Markt strafrechtlich reguliert wird, Paperback, Berlin 2008
Amesberger, Helga (2017): Sexarbeit: Arbeit – Ausbeutung – Gewalt gegen Frauen? Scheinbare Gewissheiten. Ethik und Gesellschaft. Ökumenische Zeitschrift für Sozialethik. 1/2017: Sozialethik der Lebensformen.
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