Zur Evaluation des Prostitutiertenschutzgesetzes.
Am Dienstag, den 24. Juni 2025, wurde die offizielle, über 900-seitige Evaluation zum Prostituiertenschutzgesetz veröffentlicht. Diese vom Kriminologischen Institut Niedersachsen (KFN) erstellte Studie wurde vom Ministerium selbst in Auftrag gegeben und kommt zu dem Schluss, dass das Gesetz nicht gescheitert ist, sondern, im Gegenteil, positive Aspekte hat und in Richtung Legalität und Regulierung verbessert werden kann und muss. Ein Verbot wird an keiner Stelle gefordert.
Doch am selben Tag fand im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Fototermin statt, bei dem Ministerin Karin Prien einen promovierten Theologen namens Jakob Drobnik empfing. Er überreichte eine nicht-peer-reviewed „Studie“, die dem sogenannten Nordischen Modell, also einem Prostitutionsverbot, zuneigt und angeblich zeigt, dass das das einzig mögliche Modell sei. Schon alleine diese These zeigt, dass es sich nur um eine wissenschaftlich fragwürdige Studie handeln kann. Drobnik hat schon in der Studie „Sexkauf“ gezeigt, dass sozialwissenschaftliche Methoden nicht zu seinen Stärken zählen.
Auf dem Foto posierten neben der Ministerin auch zahlreiche Bundestagsabgeordnete der CDU, CSU und SPD sowie Vertreter der Organisation DIAKA, die sich für ein Verbot der Prostitution starkmacht.
Was treibt das neu besetzte Bundesministerium für Familie eigentlich an? Am selben Tag, an dem eine gigantische 900-Seiten-Studie veröffentlicht wird, gibt die neue Ministerin, eine frühere Bildungsexpertin, einem einzelnen Theologen eine Bühne.
Diese Inszenierung wirft schwerwiegende Fragen auf: Warum erhält eine wissenschaftlich zweifelhafte Arbeit eine derartige Bühne, während die Verfasser der fundierten, offiziellen Evaluation nicht gewürdigt werden? Es entsteht der Eindruck, dass politische Agenden über wissenschaftliche Fakten gestellt werden, was das Vertrauen in die Arbeit des Ministeriums untergräbt.
Deswegen habe ich einen offenen Brief an das Ministerium verfasst, den ich hiermit veröffentliche. Ich fordere Antworten und Rechenschaft.
Meine E-Mail (gerne kopieren und neu versenden):
Sehr geehrte Damen und Herren des Ministeriums,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren der Presse,
ich schreibe Ihnen, um Klärung bezüglich der jüngsten öffentlichen Kommunikation rund um die Veröffentlichung der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes zu bitten.
Am 24. Juni 2025 wurde die offizielle, vom Ministerium in Auftrag gegebene und vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) erstellte, insgesamt über 900 Seiten umfassende Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) veröffentlicht.
Diese kommt zu dem Schluss, dass das Gesetz nicht gescheitert ist, auch wenn es Schwachstellen bei der Umsetzung gibt. Die Studie des KFN zeigt, dass das Gesetz Potenzial zur Verbesserung des Schutzes von Sexarbeiter*innen hat, wenn die Hürden für die Anmeldung und die Einhaltung von Mindeststandards gesenkt werden. Es liefert konkrete Empfehlungen, um Prostituierte besser zu schützen und Zwangsprostitution sowie Menschenhandel effektiver zu bekämpfen. Ein Verbot der Prostitution wird nicht empfohlen.
Am gleichen Tag fand ein öffentlichkeitswirksamer Fototermin im Bundestag statt, bei dem Ministerin Karin Prien eine „Studie” zum vermeintlichen Erfolg des „Nordischen“ Verbotes der Prostitution von Dr. Jakob Drobnik, einem promovierten Theologen an der Uni Erfurt, entgegennahm.
Auf dem Foto dieser Übergabe sind neben Dr. Drobnik und der Ministerin zahlreiche Abgeordnete der Koalitionsparteien sowie Vertreter*innen der Organisation DiAKA, die sich für eine Re-Kriminalisierung der Sexarbeit in Deutschland einsetzt.
Der Koalitionsvertrag sieht keine Einführung eines nordischen Prostitutionsverbots in Deutschland vor. Die vom KFN erstellte, umfangreiche Evaluation des seit 2017 in Deutschland geltenden Prosituiertenschutzgesetzes kommt zu einem insgesamt positiven Ergebnis. Sie stellt fest, dass das Gesetz „nicht gescheitert” ist, sondern lediglich Schwächen aufweist, die behoben werden könnten. Die von Dr. Drobnik überreichte „Studie” und die Positionen der Organisation DiAKA, die er und seine Begleitung repräsentieren, stehen jedoch im direkten Widerspruch zu diesen Erkenntnissen und dem inzwischen etablierten politischen Konsens.
Ich bitte um Antworten auf folgende Fragen:
• Warum hat die Ministerin Herrn Dr. Drobnik am gleichen Tag der Veröffentlichung der offiziellen Evaluation in den Bundestag eingeladen, um dort eine von Unbekannten in Auftrag gegebene, nicht begutachtete „Studie“ in Empfang zu nehmen?Warum wurde dieser öffentliche Rahmen den Verfasserinnen und Verfassern der offiziellen, 900 Seiten starken KFN-Evaluation nicht geboten?
• Wo und wann hat Ministerin Prien die offiziell in Auftrag gegebene Studie des Ministeriums empfangen und gewürdigt?
• Wann ist eine Vorstellung der Ergebnisse der Evaluation durch die Wissenschaftler*innen des KFN im Bundestag geplant und wer ist dazu eingeladen?
• Sofern es keinen vergleichbaren Fototermin mit den Autor*innen der offiziellen Evaluation gab: Warum wurde die „Studie“ von Dr. Drobnik höher priorisiert als andere begutachtete Forschung in renommierten Fachzeitschriften oder die offizielle KFN-Evaluation?
• Warum wurde für die Übergabe einer von Ministerium nicht beauftragten, nicht peer-reviewten und wissenschaftlich fragwürdigen „Studie” ein hochrangiger Fototermin arrangiert, bei dem zahlreiche Abgeordnete und die Ministerin anwesend waren?
• Nach welchen Kriterien wurde DIAKA als relevante Organisation, der eine solche Ehre zuteilwird, ausgewählt?
• Wann wird die Ministerin andere zivilgesellschaftliche Organisationen empfangen, die zu diesem Thema eine weitreichendere Expertise haben, und mit diesen gemeinsam an Lösungen arbeiten? Dazu gehören beispielsweise: Der Deutsche Frauenrat, der Deutsche Juristinnenbund, die Deutsche Aidshilfe, der BUFAS, der KOK, um nur einige wenige zu nennen.
• Steht das Ministerium, vertreten durch die Ministerin, hinter den Ergebnissen der vom eigenen Haus beauftragten KFN-Evaluation oder werden alternative, wissenschaftlich fragwürdige Positionen von kleinen Interessensverbünden bevorzugt behandelt?
• Ist dieser öffentlichkeitswirskame Auftritt von Ministerin Prien mit dem Theologen Dr. Drobnik als bereits im Hintergrund abgesprochene Zusage für eine Mitgliedschaft im geplanten Expertengremium zu werten?
Die Diskrepanz zwischen der wissenschaftlichen Fundierung der KFN-Evaluation und der öffentlichen Inszenierung einer konträren Position durch das Ministerium ist äußerst irritierend. Es entsteht der Eindruck, dass politische Agenden über wissenschaftliche Fakten gestellt werden. Das untergräbt das Vertrauen in die Arbeit des Ministeriums und die politischen Entscheidungsprozesse.
Ich fordere das Ministerium auf, die Kriterien offenzulegen, nach denen entschieden wurde, dass eine nicht-peer-reviewed „Studie“ einen persönlichen Übergabetermin mit der Ministerin und einer parteiübergreifenden Delegation von Abgeordneten verdient hat, aber nicht die offizielle Evaluation.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und erwarte eine Antwort bis zum 5. Juli 2025.
Mit freundlichen Grüßen
Sonja Dolinsek
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Aktualisierung 5. Juli 2025: Bislang hat das Ministerium nicht reagiert.
Presse:
Bericht in der Frankfurter Rundschau am 5. Juli 2025: Prostituiertenschutzgesetz: Fragen an die Ministerin https://www.fr.de/politik/ministerin-prostituiertenschutzgesetz-fragen-an-die-93818962.html
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