Ein Gastbeitag von Nicole Schulze
Der Tag begann für mich mit großer Aufregung. Schon um 6 Uhr morgens weckte mich mein Körper vor Nervosität. Ich trank eine Tasse Kaffee und startete angespannt in den Tag, denn am Abend sollte ich über meinen Beruf sprechen, den ich seit über 20 Jahren ausübe. Besonders nervös machte mich die Tatsache, dass eine bayerische Politikerin an der Diskussion teilnehmen würde. Diese Politikerin war früher für Digitalpolitik zuständig. Jetzt, da sie diesen Bereich verlassen hat, versucht sie wohl, auf dem Rücken von Prostituierten ihre gut bezahlte Karriere zu retten. Ihren Namen nenne ich bewusst nicht, denn sie verdient meinen Respekt nicht.
Mein Ziel war es, freundlich und respektvoll auf Augenhöhe mit ihr zu diskutieren und die positiven Seiten meiner Arbeit zu betonen. Doch ich ahnte nicht, was auf mich zukommen würde. Natürlich kenne ich alle Klischees und Warnungen, aber es kam viel schlimmer, als ich gedacht hatte.

Ich bin Straßen-Sexarbeiterin und arbeite seit 2004 in diesem Beruf. Kurz nachdem ich begonnen hatte, fiel ich einem Loverboy zum Opfer und blieb sieben Jahre mit ihm zusammen. Der Ausstieg war schmerzhaft, aber in vieler Hinsicht auch befreiend. In den Jahren meiner Arbeit habe ich viel erlebt und gelernt, was mich stärker gemacht hat – auch durch die Unterstützung meiner Kunden. Deshalb fühle ich mich bis heute sicher und wohl in der Sexarbeit.
Seit 2018 biete ich auch Sexualassistenz an, um Menschen mit Behinderung zu unterstützen. Diese Erfahrungen waren für mich besonders schön, und es war mir wichtig, dass die Politikerin diese Perspektive hört. Es gibt so viele Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeit genauso schätzen wie ich. Solange Konsens besteht, möchte ich selbst bestimmen, wie ich meine Sexualität auslebe – ob ich dafür Geld nehme oder nicht.
Ich bereitete mich gut vor: ging zum Friseur und machte mich schick. Endlich war es soweit. Ich wurde ins Studio gebracht, ging noch kurz in die Maske und saß dann auf dem roten Stuhl bei Stern TV. Eine Kollegin im Publikum sprach mir Mut zu. Wir wissen beide, wie viel Courage es braucht, sich in einer Gesellschaft zu outen, die uns oft verurteilt, stigmatisiert und ausgrenzt.
Die Sendung begann. Ein Film wurde gezeigt, der – wie so oft – die negative Sicht auf Sexarbeit betonte. Ich verstehe, dass das manche so empfinden, aber ich sehe es anders. Ich mag meine Arbeit. Der Film war nichts Neues.
Dann bekam die zugeschaltete Politikerin das Wort. Sie sprach nicht sachlich, sondern nur emotional und moralisch. Ich dachte: Was ist mit mir und all denjenigen, die freiwillig in der Branche arbeiten? Doch es kam, wie so oft. Sie beleidigte uns, stellte uns als unnormal hin und griff uns an. Sie behauptete sogar, weil ich Mitglied im BesD bin, dem angeblich Zuhälter und Betreiber angehören (was natürlich eine frei erfundene Lüge ist), könne man mir nicht glauben. Sie hält sich offenbar für was Besseres… Meine Wut stieg, aber ich musste mich zusammenreißen – es war eine Live-Sendung.
Der Moderator gab meiner Kollegin das Wort, die im Publikum war. Ich hoffte, dass die Politikerin mich hören würde, doch stattdessen wurde ich wieder nur angegriffen. Als ich endlich sprechen durfte, kämpfte ich mit meiner Wut. Der Moderator versuchte, eine Diskussion in Gang zu bringen, doch die Politikerin sprach über mich, nicht mit mir.
Sie nannte mich krank und geschunden. Das war für mich ein Akt der Gewalt, der zeigte, wie wenig Respekt sie für mich und für uns hat. Ich verlor den Glauben an einen echten Dialog. Zum Glück machte der Moderator klar, dass ich für mich selbst sprechen kann. Ich ließ etwas von meiner Wut raus und sagte ihr, dass wir viele sind – und dass sie mit uns reden sollte, statt über uns. Doch sie schüttelte nur den Kopf.
Sie sprach die ganze Zeit von „Menschenwürde“ und trampelte vor Millionen von Menschen auf meiner Menschenwürde herum, als sei sie nichts wert. Sie sprach vom Trauma der Prostitution, merkte aber nicht, wie sie selbst zur Täterin wurde – denn mir hat dieses Gespräch unfassbar weh getan.
Innerlich dachte ich: Sie hat keine Ahnung von meiner Arbeit und versteht nicht, wie sehr sie mich verletzt hat.
Am Ende war die Sendezeit vorbei.
Mein Fazit: Die Politik spricht nicht mit uns, sondern über uns. Es gibt einige Politikerinnen und Politiker, die die Augen vor unserer Realität nicht verschließen und wissen, dass Verbote nichts bringen. Aber diese Politikerin steht für eine jahrhundertealte Verachtung von Prostituierten. Das muss sich ändern, denn wir sind die wahren Expertinnen!
Nicole Schulze https://www.sexpertin-nicole.de/
*Anmerkung: Der Text wurde redaktionell bearbeitet und wurde in dieser Version von Nicole Schulze abgesegnet.
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